Warum gibt es so viele Kraftsportler (Celebrities, Influencer etc.), die sich fleischlos ernähren und sich gut fühlen?“. „Mir und meinen Freunden geht es auch ohne Fleisch gut“. „Ich kenne jemanden, der schon seit 20 Jahren…“ Solche „Gegenargumente“ werden immer wieder in mehr oder weniger privaten Diskussionen laut, wenn es um ziemlich komplexe Themen wie zum Beispiel die essentiellen Aminosäuren in den Proteinen tierischer Herkunft oder um Unterschiede in der Verstoffwechselung von Mikronährstoffen (z.B. Eisen) zugunsten von tierischen Lebensmitteln geht.

Mit ein paar Geschichten aus dem Bekanntenkreis oder gar von Instagram glaubt man ernstzunehmende Argumente zu haben, um damit die wissenschaftlichen Ergebnisse in Zweifel ziehen zu können. In der Wissenschaft spricht man in solchen Fällen vom anekdotischen Fehlschluss (Anecdotal Fallacy), auch als „Anekdotische Evidenz“ bekannt.

Was genau ist die anekdotische Evidenz?

Der anekdotische Fehlschluss (Anecdotal Fallacy oder auch „die anekdotische Evidenz“) zeichnet sich dadurch aus, dass einzelne Erfahrungsberichte und Geschichten vom Hörensagen höher gewichtet werden als statistisch fundierte Berichte und Argumente. Der anekdotische Fehlschluss wird häufig als Gegensatz zur empirischen Evidenz (z.B. empirische Feldstudien, Laborexperimente etc.) und zum Analogieschluss verwendet“. [1] Damit hat die anekdotische Evidenz eine sehr schwache, argumentative Aussagekraft.

Stammtischgerede: Vom Einzelfall aufs große Ganze schließen

Vom Einzelfall aufs große Ganze schließen – das passiert am Stammtisch häufig. Allerdings ist die sogenannte anekdotische Evidenz oft irreführend“, warnt auch dar Schweizer Radiosender SRF in einem kurzen Beitrag aus der Rubrik „100-Sekunden-Wissen“[2].

Wirklich problematisch wird es bei gesundheitlichen Themen. Ein in der Medizin leider viel zu gut bekanntes Phänomen: Viele Patienten entscheiden sich immer wieder für oder gegen Eingriffe oder Behandlungen aufgrund von Gesprächen mit anderen Patienten und folgen nicht der Argumentation der Ärzte, die z.B. auf Statistiken und wissenschaftlichen Erkenntnissen basiert.

Wahrheitsgehalt des Einzelfalls ist irrelevant

Die Schauspielerin XY lebt vegan und sieht blendend aus!“ Doch dann tauchen auf Instagram Bilder von der Dame in einem Steakhaus… Doch ob echt oder wahr: Eine Einzelfallgeschichte beweist nichts. Zumindest in der Wissenschaft, bzw. in einer Diskussion zu wissenschaftlichen Themen wie z. B. Studien.

Das heißt allerdings nicht, dass eine wissenschaftliche Studie nicht in Zweifel gezogen werden darf. Doch hierfür wäre eine gründliche Auseinandersetzung mit dem Studiendesign, mit der Berücksichtigung von Störfaktoren bei der Auswertung von Statistiken etc. nötig. Das ist natürlich etwas komplizierter als eine Anekdote über eine Bekannte oder einen TikTok-Star in die Diskussion reinzuwerfen.

Kritische Betrachtung von wissenschaftlichen Studien möglich und nötig

Für eine ernstzunehmende kritische Betrachtung einer wissenschaftlichen Arbeit reicht allerdings „der gesunde Menschenverstand“ nicht wirklich aus: Dies sollte nach wissenschaftlichen Kriterien erfolgen.

So haben Wissenschaftler des Institute for Health Metrics and Evaluation (IHME) der Washingtoner Universität die Forschungsergebnisse zu den potenziellen gesundheitlichen Auswirkungen vom Fleischverzehr genau unter die Lupe genommen und die Resultate seiner Arbeit im Fachmagazin Nature Medicine veröffentlicht. Das Fazit: „Zwischen dem Verzehr von rotem Fleisch und Erkrankungen wie Darmkrebs, Brustkrebs, Typ-2-Diabetes und ischämischer Herzkrankheit lässt sich allenfalls ein schwacher Zusammenhang herstellen. Zwischen dem Verzehr von unverarbeitetem rotem Fleisch und einem ischämischen Schlaganfall oder einem hämorrhagischen Schlaganfall ergibt sich überhaupt kein Zusammenhang“ [3].

Auch eine genauere Betrachtung der seit 1994 geführten Kohortenstudie „Gesundheit, Ernährung, Krebs" (EPIC-Heidelberg) [4], die Lebensmittel tierischer Herkunft als Risikofaktoren dargestellt hatte, hielt einer kritischen wissenschaftlichen Bewertung nicht stand, denn die Studie hat so wichtige Risikofaktoren wie Rauchen, Alkoholkonsum und Übergewicht nicht berücksichtigt, so eine Veröffentlichung in der der wissenschaftlichen Zeitschrift Nutrients 2023[4].