Fokus Fleisch: Frau Krieger-Mettbach, heutzutage wird viel mehr über Ernährung gesprochen als früher und das Thema polarisiert mehr. Deckt sich das mit Ihrem Eindruck und warum ist dies heute der Fall?
Ernährung betrifft jeden, weil sie lebensnotwendig ist. Mit nährstoffdefinierter Ernährung lassen sich Körperzusammensetzung und Leistungsfähigkeit beeinflussen, Krankheiten vorbeugen und (mit)therapieren. Zudem ist jeder Mensch sein eigener Experte. Was dem einen bekommt, bereitet dem anderen Bauchschmerzen. Über aktuelle Erkenntnisse der Ernährungs- und Lebensmittelforschung zu Vorkommen und Wirkungsweisen von Nähr- und Inhaltsstoffen berichten die Medien ebenso, wie über global angesagte Ernährungsstile mit fragwürdigem Hintergrund. Nie waren die Informationen so facettenreich, widersprüchlich, vielseitig interpretierbar und die Kommunikationswege so zahlreich. Das verunsichert viele ernährungsinteressierte Verbraucherinnen und Verbraucher. Sie wollen klare Ernährungsregeln. Je strenger und abstruser diese sind, desto größer das Interesse. Reflektiert wird selten, ausprobiert umso mehr. In sozialen Netzwerken lassen Influencer Interessenten an ihren individuellen – wissenschaftlich nicht immer haltbaren – Ernährungsstilen teilhaben. Mit einfacher Sprache, klaren Thesen und unterhaltsamen Videos überzeugen sie ihre Follower. Die finden endlich die gesuchte Sicherheit und Orientierung im Ernährungsdschungel sowie Gleichgesinnte für den Austausch. Ernährung ist Ausdruck eines persönlichen Lebensstils geworden. Lebensmittel sind oft keine Mittel zum Leben mehr, sondern Mittel, um Aufmerksamkeit zu erlangen.
Fokus Fleisch: Es gibt ständig neue Ernährungstrends: Low Carb, Low Fat, Paleo- oder Blutgruppen-Diät? Wie beurteilen Sie solche Trends insbesondere in puncto Gesundheit?
Menschen haben individuelle Ernährungsbedürfnisse. So gibt es ernährungsphysiologische Gründe für Low Carb, Low Fat oder High Protein. Weil diese Ernährungsformen nicht einheitlich definiert sind, lassen sie sich nur anhand der jeweiligen Nährstoffmuster und der praktischen Umsetzung bewerten. Kritisch bin ich bei Paleo vor allem, weil nährstoffreiche Lebensmittelgruppen wie Hülsenfrüchte, Getreide, Milchprodukte fehlen. Langfristig kann das Risiko für einen Nährstoffmangel steigen. Die Wirkung einer Blutgruppendiät ist wissenschaftlich nicht belegt. Je extremer die Lebensmittelauswahl einer Trendernährung, umso kritischer fällt die allgemeine gesundheitliche Bewertung aus.
Fokus Fleisch: Was ist überhaupt aus der guten alten Mischkost geworden? Ist vielseitig mit pflanzlicher und tierischer Kost nicht mehr angesagt?
Mischkost gilt nach wie vor als Ernährungsklassiker, aber der Begriff ist veraltet. Heutzutage beeindruckt es nicht, in Gesellschaft zu erwähnen, man sei Mischköstler. Aufmerksamkeit weckt man eher als Veganer, Vegetarier oder Flexitarier. Im Grunde handelt es sich bei Letzterem ja um eine pflanzenreiche Mischkost, in der tierische Produkte bewusst und in moderater Menge gegessen werden. So gesehen, gab es schon immer Flexitarier, nur haben dieselben nicht geahnt, dass sie dieser Gruppe angehören, weil der Begriff nicht existierte.
Fokus Fleisch: Rein ernährungswissenschaftlich betrachtet, was sind die Vorteile einer ausgewogenen Ernährung, mit Fleisch als wichtigem Nährstofflieferanten?
Fleisch enthält Nährstoffe, die in anderen Lebensmitteln nicht in der Menge oder Bioverfügbarkeit vorkommen. So ist es reich an biologisch hochwertigem Protein. Menschen mit wenig Appetit decken mit Fleisch leichter ihren Eiweißbedarf. Wer aus anderen Gründen eiweißreich essen muss, profitiert ebenfalls. Allerdings gibt es andere proteinreiche Lebensmittel, sodass die Deckung des Bedarfs auch ohne Fleisch einfach gelingen kann. Bedeutsamer ist Fleisch als Lieferant von B-Vitaminen, insbesondere Vitamin B12. Das kommt nur in tierischen Lebensmitteln vor und Fleisch ist besonders reich daran. B12 ist unter anderem wichtig für die Blutbildung, das Immun- und Nervensystem. Fleisch enthält das Spurenelement Zink in guter Menge und Bioverfügbarkeit. Letzteres resultiert unter anderem aus dem gleichzeitigen Vorkommen von Protein. Auch das Eisen im Fleisch ist besonders gut bioverfügbar, weil es sich um Häm-Eisen handelt. Steigern lässt sich dessen Bioverfügbarkeit mit pflanzlichem Eisen und Vitamin C. Fleisch entfaltet seine positive Wirkung am besten in Kombination mit pflanzlichen Lebensmitteln. Umgekehrt: Viele Nährstoffe, die in Pflanzen reichlich vorkommen, fehlen im Fleisch. Die Mischung macht‘s. Vegetarische Ernährung kann ebenfalls ausgewogen sein. In der veganen Kost muss Vitamin B12 immer supplementiert werden, viele weitere Nährstoffe können knapp werden. Deshalb: Wer wenig Zeit zum Kochen hat oder aufwenden möchte, steht mit moderatem Fleischverzehr oft auf der sicheren Seite. Auch Kinder, alte und kranke Menschen profitieren von den spezifischen Nährstoffen.
Fokus Fleisch: Abschließend, was wäre Ihre persönliche Empfehlung als Ernährungsexpertin für einen Menschen, der auf seine Gesundheit achtet und diese erhalten möchte?
Letztlich ist die Zusammenstellung der Ernährung immer eine persönliche Entscheidung. Vegetarisch kann genauso ausgewogen sein wie Mischkost mit moderatem Fleischverzehr, die ich gerne empfehle. Damit gelingt es gut, bei ausgewogener Energiebilanz alle Nährstoffe aufzunehmen. Das breite Spektrum an Lebensmitteln garantiert Abwechslung und Flexibilität. Die Basis der Ernährung für Gesunde bilden Gemüse, Hülsenfrüchte, Obst, Getreide, Kartoffeln, Saaten, Nüsse und hochwertige Pflanzenöle. Fleisch, Fisch, Ei, Milch, Milchprodukte, Käse ergänzen die Kost. Beim Einkauf Herkunft und Tierhaltungsform beachten. Obst und Gemüse saisonal und regional einkaufen. Mahlzeiten schonend zubereiten, Selbstgekochtes bevorzugen. Ob drei, vier oder fünf Mahlzeiten am Tag richtig sind, das muss jeder selbst entscheiden. Wichtig ist es, einen Mahlzeitenrhythmus zu finden, der in den Alltag und zum Wohlbefinden passt. Ausnahmen wie Grillfest und Kuchenschlacht gehören zum Leben und sollten ohne schlechtes Gewissen genossen werden.
Barbara Krieger-Mettbach
ist Diplom-Oecotrophologin und arbeitet bundesweit als Trainerin, Referentin und Beraterin für Unternehmen der Nahrungsmittelbranche. Ihre Themenschwerpunkte sind Ernährung, Verkauf und Kommunikation. Weitere Informationen finden sich auf der Webseite der Expertin.