Gesundheitswissenschaftler des Institute for Health Metrics and Evaluation (IHME) der Washingtoner Universität haben die Forschung zum Verzehr von rotem Fleisch und den potenziell gesundheitlichen Auswirkungen genau unter die Lupe genommen. In ihren Ergebnissen, die jetzt im Fachmagazin Nature Medicine publiziert wurden, formulieren Sie, dass sich zwischen dem Verzehr von rotem Fleisch und einigen Erkrankungen wie Darmkrebs, Brustkrebs, Typ-2-Diabetes und ischämischer Herzkrankheit allenfalls ein schwacher Zusammenhang herstellen lässt. Zwischen dem Verzehr von unverarbeitetem rotem Fleisch und einem ischämischen Schlaganfall oder einem hämorrhagischen Schlaganfall ergibt sich überhaupt kein Zusammenhang.
„Wir möchten vor allem den Konsumentinnen und Konsumenten dabei helfen, faktenbasierte Entscheidungen über ihre Diät und andere Verhaltensweisen zu treffen, die ihre Gesundheit nachhaltig beeinträchtigen könnten“, sagte der Physiker Christopher Murray aus dem Forscherteam der Universität Washington.
In der Darstellung der gesundheitlichen Auswirkungen wurde in älteren Studien die relative Risikosteigerung oft auf eine Weise kommuniziert, dass nicht klar ersichtlich wurde, dass es sich dabei nicht um das individuelle Risiko für eine bestimmte Erkrankung handelt. Eine marginale relative Risikosteigerung fällt bei gesundheitsbewusster Lebensführung kaum ins Gewicht. Darauf hatte auch schon das Netzwerk für Evidenzbasierte Medizin im Jahr 2015 aufgrund einer Veröffentlichung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Risikosteigerung beim Verzehr von rotem Fleisch hingewiesen. Damals hieß es bei der WHO, rotes Fleisch würde Darmkrebs messbar begünstigen.
"Antifleisch-Studien" sind methodisch oft mangelhaft
Die IHME-Forscher kritisieren die Hunderten von frankly lazy studies ("offen gesagt, faule Studien"). Jedes Jahr werden Hunderte dieser Art veröffentlicht, die einfach versuchen, einen beobachtenden Zusammenhang zwischen einer Handlung – zum Beispiel dem Essen eines bestimmten Lebensmittels – und einem gesundheitlichen Ergebnis wie Tod oder Krankheit zu finden. Am Ende scheint aufgrund mangelhafter Methoden, unterschiedlicher Probandenpopulationen und inkonsistenter statistischer Messungen alles, insbesondere verschiedene Lebensmittel, sowohl mit Krebs assoziiert als auch nicht assoziiert zu sein.
„Der Beweis für ein direktes vaskuläres (Durchblutungsstörung des Gehirns, Anm. d. Red.) oder gesundheitliches Risiko durch den regelmäßigen Verzehr von Fleisch ist sehr gering, bis zu dem Punkt, dass wahrscheinlich kein Risiko besteht“, kommentierte Dr. Steven Novella, Neurologe aus Yale und Präsident der New England Skeptical Society.
Für die ernährungsbedingte Risikobeurteilung ist nach Ansicht der Forscher vor allem die Zusammensetzung der aufgenommenen Kalorien entscheidend. Hierbei spielt ausreichend Gemüse eine wichtige Rolle. Der Gemüseanteil sollte nicht durch tierische Produkte verdrängt werden. Das ist im Grunde nichts anderes als die allgemeine Empfehlung vieler Ernährungsexperten. Nach gängiger Auffassung sollten sich einer vielseitigen und vitalstoffreichen Ernährung pflanzliche und tierische Lebensmittel ergänzen.
Gesundheit setzt sich aus vielen Faktoren zusammen
Über Jahre hinweg sollten "wissenschaftliche Nachweise" belegen, dass insbesondere rotes Fleisch als gesundheitlich bedenklich einzustufen und für eine ganze Reihe von Erkrankungen mitverantwortlich sei. Wird dies immer wieder behauptet und verbreitet es sich ungeprüft, entsteht eine vermeintliche Faktizität, ungeachtet dessen, wie objektiv haltbar diese Aussagen tatsächlich sind.
Gesundheit resultiert allerdings aus einem vielschichtigen und komplexen Zusammenspiel unterschiedlicher Faktoren. Ernährung ist ein wesentlicher. Veranlagung, Vorerkrankungen, das Alter und die persönliche Lebensführung spielen aber ebenso eine erhebliche Rolle. Jemand der raucht, regelmäßig Alkohol trinkt und sich wenig bewegt, hat beispielsweise ein viel höheres individuelles Risiko für Krebs oder für Herzkreislauferkrankungen, als jemand, der nicht raucht, wenig Alkohol konsumiert und regelmäßig Sport treibt. Fokussiert man sich isoliert nur auf die Essgewohnheiten, ohne solche Gesichtspunkte in die Analyse einzubeziehen, wird das Ergebnis stark verzerrt.
Die Debatte um die Gesundheitsauswirkungen von Fleisch ist durch diese Verzerrung und durch die überwiegend ungeprüfte Berichterstattung ins Unsachliche abgeglitten. Faktoren, die sich auf Gesundheit und Lebenserwartung hingegen ursächlich negativ auswirken, gelangen kaum in den öffentlichen Diskurs, beispielsweise mangelnde Gesundheitskompetenz, Nichtinanspruchnahme von Vorsorgeuntersuchungen und die soziale Vereinsamung vor allem älterer Menschen.
Fazit:
Fleisch ist ein essenzieller Bestandteil der menschlichen Ernährung. Daran bestand jahrtausendelang kein Zweifel. Fleischbefürworter zu sein, ist dieser Tage aber nicht mehr "en vogue". Mit richtig oder falsch hat dies nichts zu tun. Ernährungsexperten sprechen sich auch weiterhin für eine ausgewogene Mischkost mit Fleisch aus, denn kaum ein anderes Lebensmittel liefert dem Körper derart viel: hoch-bioverfügbares Protein, Vitamin B12, Kalzium, Eisen, Zink und Selen und das bei vergleichsweise wenig Kalorien.