Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir stellt seine Ernährungsstrategie vor. Ein zentrales Anliegen ist, durch ein breiteres Angebot an vegetarischen Gerichten und Salat – beispielsweise in Kantinen – eine gewisse Form von "gesundheitsbewusster Umerziehung" auf den Weg zu bringen. In einem Interview mit der WELT sprach er darüber, wie Einkommen und Bildung unser Essverhalten beeinflussen. Als Kind von zwei berufstätigen Eltern gab es beispielsweise meist kein warmes Mittagessen bei ihm zu Hause. Stattdessen ein paar Mark, damit er sich selbst etwas zu essen kauft. Das war dann meist die Currywurst mit Pommes. Geschmeckt hat sie ihm auch – damals.

Die Currywurst ist nach wie vor ein Klassiker in deutschen Kantinen. Wer Sie isst, macht das freiwillig, denn nahezu überall werden schon seit langer Zeit zugleich vegetarische Gerichte angeboten und eine reichhaltige Salatbar findet sich meistens auch in den Kantinen. Im Grunde geht es hier auch nicht nur um die Currywurst. Mehr pflanzenbasierte Ernährung - obwohl bereits heute 70 Prozent unseres Essens pflanzenbasiert ist - soll in der neuen Ernährungsstrategie einiges bewirken: Menschen gesünder machen und auch soziale Unwuchten korrigieren helfen.

Viel zu kurz gedacht

Bildungsfernere Bevölkerungsgruppen ernähren sich ungesünder, so die vereinfachte Vorstellung. Gesundheit ist aber nicht allein von der Ernährung abhängig. Bewegungsmangel, Alkohol, Nikotin und geringe Inanspruchnahme medizinischer Vorsorge sind entscheidende Faktoren. Und was ist überhaupt eine "gesunde Ernährung"? Wissenschaftlich gibt es keine Beweise, dass Fleisch sich innerhalb einer ausgewogenen Mischkost negativ auf die Gesundheit auswirkt – wie auch aktuelle Studien untermauern.
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Ein politisches Placebo statt Aufklärung?

Möchte man bildungsfernere Gruppen tatsächlich zu besseren Lebensverhältnissen verhelfen, kann dies nur durch gute Schulabschlüsse und Ausbildungen funktionieren. Inwieweit ein noch größeres Angebot an vegetarischen Gerichten dazu beitragen soll, erschließt sich nicht. Gegen gesundheitliche Aufklärung ist nichts einzuwenden, am besten so früh wie möglich damit in den Schulen beginnen. Regelmäßige und ausreichende Bewegung machen sich für die Gesundheit ebenfalls bezahlt. Sehr wahrscheinlich deutlich mehr als der Verzicht auf die Currywurst.

Eine Ernährungsstrategie, die Menschen indirekt nötigt, bestimmte Lebensmittel zu meiden, in der Hoffnung damit auf gesundheitliche und soziale Schieflagen Einfluss nehmen zu können, ist nicht viel mehr als politisches Placebo und könnte sogar das Gegenteil bewirken. Denn, wie der Schweizer Sozialpsychologe Dr. Tobias von der Universität Zürich betont, Essen ist nicht nur Nahrungsaufnahme und Essgewohnheiten sind sehr wichtig für ein ausgewogenes Seelenheil, was sich wiederum stark auf die Gesundheit auswirkt.