Europa übernimmt beim Klimaschutz eine lobenswerte Vorreiterrolle. Was dabei mitunter unberücksichtigt bleibt: Regionale Strategien können im Zusammenspiel der internationalen Märkte zu ungeahnten Effekten führen. So zeigt eine aktuelle Studie der Universität Kiel, welche Folgen Restriktionen für die hiesige Landwirtschaft im globalen Kontext haben können.[1] Zum Beispiel würde eine reduzierte Nutztierhaltung in Europa die Preise für Verbraucher deutlich erhöhen und zu deutlichen Steigerungen der Importmengen führen, die nicht unter denselben Klimavorgaben wie in der EU, sondern vermutlich zu weniger klimafreundlichen Bedingungen produziert wurden.

Die Simulationsstudie „Ökonomische und ökologische Auswirkungen des Green Deals in der Agrarwirtschaft“ simuliert die möglichen Effekte der EU-Vorgaben auf Produktion, Handel, Einkommen und Umwelt. Einer der wichtigsten Mechanismen, den die Forschungsarbeit aufzeigt, ist der Leakage-Effekt. Fokus Fleisch hat mit dem Hauptautor der Studie, Christian Henning, über dieses Thema gesprochen.


Vier Fragen an Prof. Dr. Dr. Christian Henning

Prof. Dr. Dr. Christian Henning


Fokus Fleisch: Ihre Forschung stellt fest, dass eine verringerte Agrarproduktion in der EU nicht automatisch zu geringeren Emissionen führen würde. Warum nicht?

Eine Einschränkung der EU-Produktion würde zu Verschiebungen der Produktion in Nicht-EU-Staaten sowie zu entsprechenden Landnutzungsänderungen in der EU und Nicht-EU führen. Diese so genannten Leakage-Effekte führen dazu, dass die potenziell positiven Umweltwirkungen in der EU durch negative Umweltwirkungen in anderen Regionen konterkariert werden. Treibhausgas-Emissionen kennen nun einmal keine Staatsgrenzen.

Fokus Fleisch: Ihre Arbeit errechnet die Leakage-Effekte für die Farm-to-Fork-Strategie der Europäischen Union.

Korrekt. Die Strategie mit ihren angedachten Maßnahmen würde zu einer Reduktion der Landwirtschafts-Emissionen der EU in Höhe von 109 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten führen. Zugleich gäbe es aber einen negativen Leakage-Effekt von rund 50 Millionen Tonnen sowie einen Rückgang der C02-Einlagerungen von weiteren 50 Millionen Tonnen. Der Nettoeffekt von Farm-to-Fork beläuft sich also auf gerade einmal 9 Millionen Tonnen.

Fokus Fleisch: Wie schätzen Sie die Situation bezogen auf die Fleischproduktion ein?

Zur Einhaltung der Klimaschutzziele sind technische Innovationen in der Tierhaltung unabdingbar. Der technische Fortschritt darf in diesem Sektor nicht unterschätzt werden, so dass es mittel- und langfristig sicher möglich ist, entsprechende Nachhaltigkeitsziele auch bei hohen Tierbesatzzahlen zu erreichen. Wichtig ist, dass klare ökonomische und politische Anreize gesetzt werden, um die Entwicklung und Implementation neuer Technologien zu ermöglichen.

Fokus Fleisch: Welche Konsequenzen sollten aus den Ergebnissen Ihrer Studie gezogen werden?

Die Farm-to-Fork-Strategie hat das Potential einer Win-Win-Situation für Verbraucher und Landwirte. Die aktuell geplanten Vorgaben sind allerdings nur bedingt effizient. Das betrifft etwa die pauschale Förderung spezieller Produktionstechniken wie den ökologischen Landbau. Hier gibt es andere Ansätze, die wirksamer sind, wie die direkte Reduktion der Stickstoffbilanz. Es braucht eine moderne Governance, die einerseits verlässliche Anreize für eine nachhaltig-effiziente Nutzung der knappen Landressourcen schafft und andererseits Verbraucher zum nachhaltigen Konsum gesunder Lebensmittel motiviert.



Aufgrund des Leakage-Effekts werden Treibhausgasemissionen durch die regionale Verringerung der Agrarproduktion nicht vermieden, sondern in andere Produktionsgebiete verlagert. Die Kieler Studie prognostiziert, dass durch Restriktionen für die europäische Landwirtschaft Emissionen von mehr als 50 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten in Ländern außerhalb der EU ausgestoßen werden würden. Hinzu kommt die Freisetzung von eingelagertem Kohlenstoffdioxid von noch einmal 50 Millionen Tonnen.

Unter dem Strich würde eine Verringerung der europäischen Tierhaltung also keinen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz leisten, sondern zu einem Verlust an Wertschöpfung und zu unnötigen Belastungen für Landwirtschaft und Verbraucher führen. Wenn der Klimaschutz ernst genommen werden soll, sind Innovationen das Gebot der Stunde. In Europa entwickelt, können sie zum Exportschlager werden und so tatsächlich einen wirksamen Beitrag zum – globalen – Klimaschutz leisten.

Quellen:

[1] https://www.bio-pop.agrarpol.u...


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