Die Nutztierhaltung ist tief in den Traditionen und Strukturen Europas verwurzelt und in fast allen ländlichen Regionen Europas präsent. Für die Menschen ist es Teil ihres kulturellen Erbes, viele Betriebe befinden sich bereits seit Generationen im Familienbesitz. Die Viehzucht sichert Arbeitsplätze und die produzierten Lebensmittel garantieren Versorgungssicherheit. Die Abschaffung der Tierbestände hätte fatale soziale, ökologische und wirtschaftliche Konsequenzen. Und die vollständige Entfernung einer ganzen Lebensmittelgruppe aus der Ernährung der Menschen könnte zudem weitreichende gesundheitliche Folgen nach sich ziehen.

Tierhaltung und Pflanzenanbau sind eng verbunden

Die Forderung nach einer Abschaffung der Nutztiere stammt von einer Minderheit, wird aber laut artikuliert und medial stark verbreitet. Mögliche negative Auswirkungen bleiben dabei unberücksichtigt. Hier sollten dringend entsprechende Folgenabschätzungen erstellt werden, denn in einer Agrarkreislaufwirtschaft spielen Nutztiere eine entscheidende Rolle: Die Verwertung von Nebenprodukten und Resten aus dem Pflanzenanbau durch Nutztiere trägt zu einer wesentlich effizienteren Landwirtschaft bei. Durch "Upcycling" von für den Menschen nicht verwertbarer Biomasse, beispielsweise Gras, Heu und Kleie, entstehen hochwertige Lebensmittel wie Fleisch und Milch.

Upcycling von Pflanzenmasse durch Tiere

Die Nutztierhaltung spielt auch eine wichtige Rolle bei der Regulation ökologischer Kreisläufe: Wirtschaftsdünger verbessert die Bodenfruchtbarkeit und das Grasland, das als Weidefläche genutzt wird, dient als Kohlenstoffspeicher. In einer Welt ohne Nutztiere müsste viel mehr Fläche als landwirtschaftliche Fläche für den Pflanzenanbau genutzt werden, dies hätte einen Verlust an Biodiversität zur Folge. Wobei zu bedenken ist, dass viele Wiesen und Weiden kaum oder gar nicht als Ackerland genutzt werden können, aufgrund von Bodenbeschaffenheit oder der Lage. Würden zudem mehr landwirtschaftliche Flächen zum Anbau von Pflanzen für den menschlichen Verzehr genutzt, müsste – ohne Tiere die Wirtschaftsdünger liefern – viel mehr synthetischer Dünger eingesetzt werden. Das hätte direkte negative Auswirkungen auf Umwelt und Klima.

Futterkonkurrenz

Nutztierhaltung ist ein bedeutender Wirtschaftsfaktor

Die Nutztierhaltung ist in ganz Europa eng mit vielen Bereichen der Lebensmittelproduktion verbunden. Sie trägt erheblich zur europäischen Wirtschaft (168 Mrd. € jährlich, 45 Prozent der gesamten landwirtschaftlichen Tätigkeit) bei, schafft direkte Arbeitsplätze für vier Millionen Menschen und unterstützt indirekt die Arbeit von 30 Millionen Menschen, hauptsächlich in ländlichen Gebieten. Hinter jedem Viehbetrieb stehen rechnerisch sieben Arbeitsplätze im ländlichen Raum. Ohne Tierhaltung würden eine Vielzahl dieser Arbeitsplätz nicht erhalten bleiben und eine weitere Abwanderung aus ländlichen Gebieten würde diese Regionen zusätzlich Schwächen und den Druck in den Städten und urbanen Ballungsräumen vergrößern.

Bereits heute leben beinahe drei Viertel der europäischen Bevölkerung in städtischen Gebieten. Bis 2050 werden geschätzt 80 Prozent der Europäer in Städten leben. Unter den vielen Gründen der Abwanderung aus dem ländlichen Raum in die Städte, gibt es einen klaren Zusammenhang mit dem höheren Einkommensniveau. Die Reduzierung der Nutztierhaltung würde einen weiteren Wohlstandsverlust in den ländlichen Regionen bedeuten und den Urbanisierungstrend verstärken.

Auswirkungen auf Umwelt und Mensch nicht vorteilhaft

Auf den Klimawandel hätte der Abbau der Tierhaltung kaum oder gar keinen Einfluss. Sogar negative Auswirkungen wären nicht unwahrscheinlich: Ohne Wiederkäuer würde die Pflege der Weide- und Heckenlandschaften sehr schwierig werden. Zudem fallen die Emissionen der Landwirtschaft weitaus weniger ins Gewicht als die der anderen Sektoren. Nach einer Studie aus den USA würden bei vollständiger Entfernung der Tierbestände die US-Emissionen lediglich um 2,6 Prozent zurückgehen. Berücksichtigt man die Unterschiede in den landwirtschaftlichen Modellen dürfte der Rückgang in Deutschland wesentlich geringer ausfallen. Zudem steht den tierbedingten Emissionen eine natürliche Senke gegenüber, dadurch, dass Methan aus der Tierhaltung nach zehn Jahren zu Kohlendioxid zerfällt, welches die Pflanzen für ihr Wachstum wiederaufnehmen.

Fossile vs biogene Emissionen

Selbst der Weltklimarat (IPPC) kam in seinem jüngsten Bericht zum Ergebnis, dass die Wirkung der Emissionen aus der Landwirtschaft auf das Klima um das Drei- bis Vierfache überbewertet wurde.

Eine vollständige Abkehr von der Tierhaltung würde auch erhebliche Herausforderungen für die Deckung des Ernährungsbedarfs der Bevölkerung mit sich bringen. Ohne Fleisch, Milchprodukte, Eier und Fisch wäre die Versorgung mit ausreichend essenziellen Nährstoffen gefährdet. Bei einer rein pflanzlich basierten Ernährung müsste der Einzelne täglich weitaus mehr Nahrung und Kalorien zu sich nehmen, um eine vergleichbare Nährstoffdichte und -qualität zu erreichen oder eine Supplementation wäre nötig, um die Deckung mit Vitamin-A, B12, Eisen, Kalzium und essenziellen Spurenelementen und Fettsäuren zu sichern.

Eisenaufnahme tierisch vs pflanzlich

Der Forscher Jean-Luis Peyraud vom Institut national de la recherche agronomique (INRA) betont:

„Es ist an der Zeit, dass wir zu realistischeren Positionen auf der Grundlage von Fakten zurückkehren. Die Abschaffung der Viehwirtschaft wäre absoluter Unsinn für die Menschheit. Aber das bedeutet nicht, dass wir unsere Art der Tierhaltung nicht verbessern, um den Tieren ein artgerechtes Leben zu ermöglichen und eine Schlachtung ohne Schmerzen und Stress. Wir müssen Forschung und Innovation fortsetzen, um negative Auswirkungen in der Tierhaltung zu verringern und die Leistungen, die sie für unsere Gesellschaft erbringt, weiter zu verbessern.“

Das fordern auch mehr als 700 Wissenschaftler, die die Dublin Declaration unterschrieben haben. Sie rufen zu einer sachlich geführten Debatte rund ums Fleisch auf!